Ein stolzer Satz, der einem aber locker von den Lippen geht, wenn man schier endlose Wiesen und Bergketten, umwerfendes Essen und herzliche Gastgeber mag. Auf der Party des Jahres gab es zwar keinen Dresscode, dennoch war Jeans mit weißem Oberteil sehr angesagt. Und Trachten. Ich muss gestehen, dass mir Dirndl und Lederhosen am Rande von Rheinhessen im ersten Moment komisch vorkamen, hat man das moderne Allgäu aber erst einmal kennengelernt, ist es das normalste auf der Welt: Menschen, die ihre Traditionen in der Gegenwart leben und die Zukunft fest im Blick haben. Auch mal schön zu erleben, während sich anderswo ganze Länder in ihren Grundfesten erschüttert fühlen, tropft mal ein bisschen Käse ins Kartoffelgulasch 😉 Am Rande der Plaudereien auf Astrids Party hatten wir was von einer Ferienwohnung im Allgäu aufgeschnappt, ohne zu ahnen, dass Melanie und Theo sich im Allgäu meinen Traum vom Haus verwirklicht haben. Nach dem After-Party-Networking auf Facebook war der Kontakt schnell geknüpfelt und das loftartige Urlaubs-Liebesnest für den Spätsommer gebucht.
Mit der Buchungsbestätigung kamen auch schon die ersten Restaurant- und Ausflugstipps, ein Restaurant für unseren ersten Tag gebucht, Koffer gepackt und auf ging´s. Dank Hamsterkäufen im WMF-Werksverkauf (liegt auf dem Weg – wie praktisch) stimmt die Straßenlage und die B10 ist schnell erklommen. Hat man Ulm erstmal hinter sich gelassen hat, dauert es nicht mehr lange, bis man die Alpen am Horizont erahnen kann und schon kurz nach der Ausfahrt wird auch der letzte Aufstieg in kleinem Gang gestemmt. Autofahren ist eine Tätigkeit, die das Hirn intellektuell unterfordert. Nicht grade reizarm, aber die Verarbeitung folgt weitestgehend automatisch und lässt genug Raum für Überlegungen über die Dinge, die wohl Zuhause vergessen geblieben sind. Zwischen Vöhringen und Illertissen fiel mir beispielsweise ein, dass ein Pürierstab ein nützliches Utensiel für die Zubereitung einer Kübrissuppe sei, zu der ich die liebe Mel gleich am ersten Abend eingeladen hatte – dazu links ein schönes Beispiel für unbezahlbare Gastfreundschaft!
Einen schöneren Einstand hätten wir uns nicht wünschen können. Sämige Suppe in charmanter Gesellschaft, die nach und nach durch weitere Familienmitglieder ergänzt wurde (wobei sonst niieeee jemand an die Tür der Ferienwohnung klopft 😉 ) Das Programm für den ersten Ausflug nach Bad Hindelang stand bald fest: Einstimmen im Leporello – einem authentischen Zeugnis des modernen Allgäu, mit köstlichem Kaffee und sahnegeschwängerter Leporello-Schnitte. Danach Spaziergang zum Gailenberg mit Abstecher zum Kunsthaus Lipp und einem Kännchen Tee im Teehaus. Überall erlebt man, wie verwurzelt die Menschen mit ihrer Heimat dort sind – besonders eindrucksvoll bei Kilian Lipp, der seiner Ausstellung dort oben den perfekten Rahmen bietet und seine stimmungsvollen Bilder immer wieder mit Ausblicken ins Tal abwechselt, während um einen herum ständig irgendwas am Knarzen und Knacken ist. Ein sehr lebendiges Haus.
Während die Wissenschaft immer neue Materialien zur Herstellung von Kochgeräten aus der Weltraumforschung in die Küche bringt, sitzt Franz Scholl in seiner wasserbetriebenen Schmiede und hämmert Pfannen, die Bratkartoffeln hervorbringen bei denen selbst die gestandensten Michelin-Tester die Objektivität verlieren würden. Scholl’s Pfannen wurden bis vor Kurzem auch über die eigene Webseite vertrieben, was dem Werkzeugmachermeister offenbar keine große Freude bereitet hat. Wer heute eines seiner Meisterwerke auf den Herd setzen will, muss hinfahren. Früh genug hinfahren. Wir standen um 17:00 vor einer längst verlassenen Mühle, aber der Wille mehrere Pfannen nach Württemberg zu importieren war stark genug, Herrn Scholl in der heimischen Ruhe zu stören – von Kauz keine Spur, führte uns der nette Herr in seinen Keller, verkaufte die gewünschten Pfannen und war dann noch vor uns vom Hof verschwunden, unterwegs zu einer mehrtägigen Bergtour. Glück gehabt – oder vielleicht bewahrheitet sich hier die alte Sage von der Pfanne, die sich ihren Koch sucht… Wie Winnetou und Shatterhand die Blutsbruderschaft begehen, wird in einem Akt, in dem Rauch die zentrale Rolle spielt, der Bund zwischen Koch und Pfanne beim Einbrennen besiegelt. Arglose Kartoffelscheiben werden in reichlich Fett und Salz bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, was am Rhein schon die Feuerwehr zum Ausrücken gebracht haben soll. Hab ich allerdings erst zuhause gemacht 😉
Das Finale des Donnerstags fand im Restaurant Obere Mühle statt, das seine Gäste jeden Donnerstag zu einem 5-Gänge-Menü einlädt, zu dem einem nach kurzem Blick in die Karte, die Wahl nicht schwer fällt: Flusskrebsmousse und Flusskrebse in Safrangelee mit Zitronen-Dillsauce – Pfifferlingsschaumsuppe mit Nockerl – Waldbeersorbet mit Rieslingsekt – Hirschkalbsteak mit Holundersauce und Kürbis- Kartoffelpüree – Bayerische Creme mit frischen Himbeeren. Großes Kino und absolut wiederholungswürdig wie der ganze Rest dieses Tages!
Während wir den Freitag erstmal ausgiebigst mit Ausschlafen und später mit Bummeln verbracht haben, erwartete uns Abends das lang ersehnte Kochen mit Melanie in Ihrer Küche, die beim ersten Anblick selbst dem gestandensten Hobbykoch den Pudding in die Knie schießen lässt. Bei dem Ausblick fragt muss man sich, was dort schon alles angebrannt sein muss, während der Blick über die weiten Wiesen schwofte… Auf den Tisch kam handverlesenes Handfestes. T-Bone-Steaks aus der Familienmetzgerei. Ein Fleisch, das dem grade erholten, gestandenen Hobbykoch erneut eine Packung Pudding in die Knie schießt. Angestachelt von den gesammelten Eindrücken hab ich dann eine cremige Polenta gerührt, die ihres gleichen sucht. Milch mit Rosmarin und angedrückten Knoblauchzehen aufgekocht, Maisgries eingerührt und gerührt und gerührt. Gemüsebrühe aufgefüllt und gerührt und gerührt. Mit Allgäuer Parmesan, der so wuchtig, fast schon cremig aber doch irgendwie brüchig war, dass das Herz beim Probieren einen Schlag aussetzt, abgeschmeckt und einer Moscavado-Zucker-Rosmarin-Kruste versehen. Und da wir’s alle gerne krachen lassen, gab´s dazu noch Ochsenherztomaten, mit nicht weniger als einer köstlichen Burrata, Birnen mit Ziegenkäse und Staudensellerie und DEN Parmesan mit Rucola. Geschlemmt haben wir, dass die Schwarte nur so krachte und den Abend schließlich mit Schuhbecks geeistem Kaiserschmarrn beschlossen.
Der Rest des Wochenendes bestand aus ausgiebiger Erholung, unter anderem auf der zur Ferienwohnung gehörenden Terasse, bei Kaffee und Mels Apfelkuchen in der Herbstsonne, die dieses Jahr der Sommersonne weit weit überlegen war – und so warf dieser kleine Ausflug so wertvoll ein kleines Steak wie ein großer Urlaub!
Du hast nicht übertrieben! Ein Traum!
Wie lange fahrt Ihr denn bis ins Melligäu? Das sind doch wahrscheinlich gerade mal zwei Stunden, oder?
Ich hab Pipi inne Augen…..
Was soll danach noch kommen? Chef, du bist der unbestreitbar überragende Hofberichterstatter meiner ganz persönlichen Lieblingsallgäuer, der Königin und des Königs der hessischen Herzen – die Prinzessin und die Prinzen nicht zu vergessen.
Dieser Bericht ist nicht mehr zu toppen und hier bewahrheitet sich wieder einmal der alte Spruch, dass gut Ding Weile haben will. Alle Daumen hoch!
…und der Paul ist auch im Bild….
Hallo Herr Hansen, klingt ja fantastisch, wie Sie die beiden Kulturen zusammenbringen. Die allgäurische und die genießerische! Sie gehören auch zusammen, denn wir genießen mit allen Sinnen! Da wir in österreichischer Nachbarschaft leben, drängt sich mir die Frage auf, „was bitteschön ist eine Moscavado?“ Mit einem frundlichen Gruß vom sonnenverwöhnten herbstlichen Allgäu. Manfred
@Lena Ach was übertrieben – ich war selten so sachlich 😉
@Nata Jepp, zwei Stunden – der Umweg über WMF +2h… Find ich super, falls mal wieder ne Einladung zu 3,5 Kilo Entrecote kommt und wir nicht grade auf ne Hochzeit „müssen“ 😉
@Mel Na ich hoffe vor lauter Freude 😉 Der Paul hat uns am Samstag Gesellschaft geleistet, aber ich glaube wir waren ihm am Freitag schon nicht unsympatisch – oder er hatte Hunger 😉
@Jutta Also bitte, ähm ich meine erstmal: Danke 🙂 Aber das muss man doch auch nicht toppen – einfach auf seine ureigene witzig-charmante Art und Weise, die ich so gerne lese, selbst darüber schreiben!
@Manfred Herr Hansen, das ist mein Vater – zu mir sagen alle Alex, oder Chef 😉 Vertipper: Es heißt Muscovado und dabei handelt es sich um einen ungereinigten, unraffinierten Zucker, wobei der geschmacklich viel raffinierter ist als Kristallzucker, schmeckt karamelliger und nicht so krachsüß wie weißer Zucker. Ein Hauch davon schmeckt auch köstlich auf Rosmarin-Kartoffeln.
Mein Vater auch hier? Der ist jetzt überall? Hansen, sei froh, wenn er Dich nicht anstupst 😉
Er hat „Herr Hansen“ zu mir gesagt! Fand ich sehr nett – ich hätte mit Suppenkasper gerechnet 😉
Hach, ich will auch noch mal ins Allgäu. War im Sommer dort `ne Woche wandern. Schön dort. Und der Käse – herrlich.